Historisch schwule menschen stuttgart
Ein Pappeinband hält den Stapel einzelner Seiten zusammen — Papier, schreibmaschinenbeschrieben, an den Rändern Anmerkungen, Korrekturen und Aktenzeichen per Hand eingefügt. Mit Aktendeckeln wie diesem wurden Gerichtsakten zur Aufbewahrung versehen. Der Pappeinband gibt Auskunft darüber, vor welchem Gericht das Verfahren angesetzt war, wer angeklagt war und wann die Verhandlung stattfand.
Das Datum links unten, , markiert das Jahr, in dem die Akte aus den Archiven des Landesgerichts aussortiert werden sollte. Archivalien werden in den Behörden selbst nur für eine bestimmte Zeit aufbewahrt und werden dann entweder vernichtet oder kommen zum zuständigen Archiv.
So sehen die meisten Akten der Strafverfahren gegen homosexuelle Männer aus. Diese Dokumente geben ausführlich Auskunft über den Verlauf der Prozesse auf Grundlage von Paragraf des Strafgesetzbuches, über die Ermittlungen der Polizei und die Verteidigungsstrategien der Angeklagten.
Stuttgarter geschichte: porträts historisch bedeutender schwuler persönlichkeiten
Gleichzeitig wurde das private und sexuelle Leben der angeklagten Männer bis in intimste Details protokolliert, so dass die Gerichtsakten auch Auskunft geben über homosexuelle Lebenswelten und Subkulturen, über Lebensläufe, Partnerschaften und die Organisation sexueller Verhältnisse.
In vielen anderen Bundesländern wurden die entsprechenden Gerichtsakten als nicht der Aufbewahrung wert befunden und vernichtet. Dagegen liegen in den verschiedenen Zweigstellen des Landesarchivs Baden-Württemberg wahre Schätze an Quellenmaterial. Hier findet sich eine weitgehend lückenlose Überlieferung der Gerichtsverfahren auf Grundlage von Paragraf und a des Strafgesetzbuches sowie Personalakten von Gefangenen im Strafvollzug.
Im Zuge von Vorrecherchen konnten die Bestände bereits gesichtet und stichprobenartig ausgewertet werden; etwa Akten wurden auf diese Weise quantitativ erfasst. Während viele Dokumente bereits in Findbüchern erschlossen sind, können wir nur schätzen, wie viele noch unerschlossene Akten in Magazinen des Landesarchivs lagern.
Diese Bestände müssen noch bearbeitet und verschlagwortet werden, bevor sie in den Findbüchern und Online-Datenbanken der Archive auftauchen. Eine der zentralen Stellen der Homosexuellenverfolgung war die Polizei. Die noch vorhandenen Akten wurden nach dem Krieg von den Alliierten beschlagnahmt und teilweise wieder zurückgegeben.
Akten der Polizeidienststelle Stuttgart und der badischen und württembergischen Sicherheitspolizei befinden sich nun im Staatsarchiv Ludwigsburg. Diese Bestände geben allerdings wenig Auskunft über die Verfolgung männlicher Homosexualität. Besser ist die Überlieferung für die Zeit nach Der nationalsozialistische Terror, der etwa homosexuelle Männer in Konzentrationslager brachte, lässt sich am besten in den Archiven von KZ-Gedenkstätten untersuchen.
Für Baden und Württemberg sind hier vor allem die Konzentrationslager Dachau und Natzweiler-Struthof aufschlussreich, in denen viele badische und württembergische Homosexuelle inhaftiert und ermordet wurden, aber auch die Emslandlager oder das Frauenlager Ravensbrück.
Zur strafrechtlichen Verfolgung homosexueller Männer gibt es, wie wir sehen, zahlreiche und relativ einfach zugängliche Dokumente. Quellen zur Geschichte von lesbischen und bisexuellen Frauen oder von transsexuellen, transgender und intersexuellen Menschen sind schwieriger zu finden.
Dies liegt nicht daran, dass es keine solchen Quellen gäbe. Aber es erfordert Kreativität und Ausdauer, um sie zu finden. Weitet man die Quellensuche auf alltagsgeschichtliche Quellen aus, auf Erinnerungsliteratur, auf Akten der Krankenhäuser, Psychiatrien und der Jugendfürsorge, finden sich an den verschiedensten Stellen Hinweise auf LSBTTIQ-Geschichte.
Zeitschriften für Homosexuelle sollten — neben anderen Zeitschriften und Büchern, die als jugendgefährdend angesehen waren — nicht mehr offen ausgelegt und an Jugendliche verkauft werden. Quelle: Stadtarchiv Heilbronn, B , Sozialamt 40, Auch Kuppelei war historisch ein Straftatbestand, der im Kontext von LSBTTIQ-Geschichte aussichtsreich untersucht werden kann.
Bisher noch kaum untersucht und sicher aufschlussreich für die heterosexuelle Normierung von Erziehung sowie die Sanktionierung homosexuellen Verhaltens ist das Feld der Jugendfürsorge. Mögliche Quellen wären hier Vormundschaftsverfahren, Bestände aus Kinderheimen oder Unterlagen von Stellen, die Sexualaufklärung betrieben.
Auch Indizierungsverfahren von Schriften, die als jugendgefährdend galten in der Bundesrepublik durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in Bonn , geben wichtige Hinweise auf den Umgang mit Homo-, Bi- und Transsexualität.